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2020-09-01

Interview mit Dr. Christina Kuchendorf, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin am Institut für Bio- und Geowissenschaften, IBG-2, in der Forschungszentrum Jülich GmbH

Frau Kuchendorf, Sie beschäftigen sich am Forschungszentrum in Jülich mit Algen. Algen werden für die Zukunft der Ernährung eine wichtige Rolle zugesprochen. Worin bestehen die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Algen allgemein?

Mikroalgen sind uralte Organismen. Sie sind bereits seit über einer Milliarde Jahren auf diesem Planeten und an alle nur denkbaren Lebensräume angepasst. Da sie Einzeller sind, vermehren sie sich erheblich schneller als höhere Landpflanzen. Unter optimalen Bedingungen, das heißt Licht, Wärme, CO2 und genügend Nährstoffe, teilen sie sich täglich. Der ursprüngliche Lebensraum von Mikroalgen sind die Ozeane, wo Nährstoffe sehr dünn verteilt sind. Das hat sie zu Nahrungskünstlern gemacht. Sie können mit ihrer gesamten Zelloberfläche Nährstoffe aufnehmen. Außerdem können sie wesentlich mehr Nährstoffe aufnehmen und speichern, als sie kurzfristig benötigen. Das schnelle Wachstum unter für sie vorteilhaften Bedingungen, sowie die effiziente Aufnahme und das „Bunkern“ von Nährstoffen, macht Mikroalgen zu einer Biomasse-Ressource, die vielfältig verwendet werden kann. Auf der einen Seite ist es die pure Biomasse, die als Nährstoff in Nahrung oder Futter verwendet werden kann; dies geschieht zum Beispiel bereits in Aquakulturen für Fisch, ist aber aufgrund des hohen Nährstoff- und Mineralgehaltes auch für unsere Ernährung möglich und kann helfen, Ernährungsmängel auszugleichen. Auf der anderen Seite sind die vielfältigen Inhaltsstoffe von Algen interessant als Nahrungs- oder Pharmaziezusätze, beispielsweise als Farbstoffe oder Antioxidantien; aber ihre Öle und Kohlenhydrate sind nicht nur für Nährmittel, sondern auch für (Bio-)Kosmetik oder sogar Bioenergie interessant; während ersteres ökonomisch sehr lohnend sein kann, ist für letzteres zwar die Technik bereits vorhanden, aber die Kosten noch sehr hoch – unter anderem, weil die Trennung der Algen aus ihrer Wachstumsumgebung, dem Wasser, relativ aufwendig ist. Trotzdem haben die Techniken, mit denen Algen produziert werden können, einen großen Vorteil – sie müssen nicht auf landwirtschaftlichen Flächen installiert und können sogar in Architektur eingebunden werden; und sie sind an andere Stoffströme anschließbar, zum Beispiel Solarenergie, Biogas, oder Regen- und Abwasser. Besonders der Aspekt der Nährstoffaufnahme ist hier interessant, denn die Biomasse kann auch als Dünger verwendet werden; ihre Inhaltsstoffe passen sehr gut zu den Bedürfnissen von Pflanzen.

Die Ausstellung zum Bioökonomiejahr auf der MS Wissenschaft zeigt ein Wissenschaftsexponat aus dem Forschungszentrum Jülich. „Sauberes Wasser durch Algen“ veranschaulicht, wie ein Algenrasen aus Abwässern zum einen Schmutz, aber auch Nährstoffe herausfiltert, die dann „abgekratzt“ und verarbeitet werden können. Welche Vorteile bietet diese Zukunfts-Technologie im Vergleich zu der üblichen Bearbeitung von Schmutzwasser in Kläranlagen?

An der Kläranlage des Forschungszentrums Jülich wurde 2018 erstmals in Deutschland eine Pilotanlage für das so genannte AlgalTurfScrubbing installiert. Dabei wird Abwasser in ein Rinnensystem, einen so genannten Floway, geleitet, in dem ein Algenrasen wächst. Im Zuge ihres Wachstums nehmen die Algen Nährstoffe aus dem Wasser auf und reinigen es dadurch. Alle 4-14 Tage – je nach Wetter, Nährstoffgehalt des Wassers und Wachstumsgeschwindigkeit – werden die nährstoffgeladenen Algen geerntet; dies ist abhängig von der Größe der Anlage. Die Technik ist einfach, kostengünstig und an vielen Orten anwendbar. Der AlgenFlipper auf der MS Wissenschaft veranschaulicht dieses AlgalTurfScrubbing. Blaue und grüne Kugeln, die Wasser und Nährstoffe darstellen, werden auf eine Fläche geleitet, die einen Algenrasen darstellt. Die Nährstoff-Kugeln werden magnetisch auf der Fläche festgehalten, die Wasser-Kugeln fließen weiter und können mit einer Archimedischen Schraube wieder zum Anfang befördert werden. Die Nährstoff-Kugeln können mit einem Schaber (Scrubber) „geerntet“ werden. Sie können dem Kreislauf anschließend wieder zugeführt werden.

Der Algenflipper verdeutlicht dabei einen sehr simplen Prozess, in dem Mikroalgen auf einer Oberfläche einen Biofilm bilden, über den Abwässer geleitet werden. Dabei sollen sie Nährstoffe wie den endlichen und weltweit sehr ungleich verteilten Phosphor, und den reichlich in Düngung und Viehzucht anfallenden Stickstoff aufnehmen – und das tun sie sehr effektiv. Das Hauptprodukt ist sauberes Wasser, das keine Nährstoffbelastung und damit Eutrophierungsgefahr für Gewässer mehr bietet. Die ‚nebenbei‘ gewonnene Algenbiomasse kann dann anstelle mineralischer Dünger auf Feldern ausgebracht werden. Auf diese Weise sollen die Nährstoffe in einen Kreislauf zurückgeführt werden, anstatt im Klärschlamm oder in Gewässern zu landen, wo sie nicht mehr nutzbar oder sogar schädlich für die Umwelt sind. So wurde in den letzten Jahren beispielsweise untersucht, wie viel Phosphor Algen unter verschiedenen Umweltbedingungen aufnehmen können und ob Algenbiomasse beim Anbau von Weizen ein vollwertiger Ersatz für Mineraldünger ist. Ein Eintrag von Mikroalgen als organischem Dünger in den Boden kann zusätzlich dazu beitragen, die Bodenqualität zu verbessern, da sie den vorher als CO2 fixierten Kohlenstoff mitbringen. Durch den langsamen Abbau der Zellen werden die Nährstoffe zudem langsamer freigesetzt und nicht so leicht ausgewaschen. Die genauen Effekte müssen noch weiter untersucht werden, insbesondere bei verschiedenen Arten von Abwässern, aber wir glauben, das ein sehr guter Beitrag zur Nährstoff-Kreislaufwirtschaft möglich ist.

Auch als technische Ergänzung ist Potential vorhanden; der Einsatz von Mikroalgen zusätzlich zu den gängigen Klärschritten kann helfen, die Effizienz noch weiter zu erhöhen, was insbesondere bei der gesunkenen Phosphor-Grenzwerte im Wasser gewünscht ist. Vorstellbar ist auch, Algen zur vor-Ort-Klärung von beispielsweise Gelbwasser oder Grau- und Regenwasserkreisläufen einzusetzen, um den Trinkwasserverbrauch zu reduzieren. Hier ist es in Zukunft sehr wichtig, die Maßstäbe der einzelnen Aspekte dieser Kreisläufe zu testen – wie groß können oder müssen solche Installationen sein, um energetisch oder ökonomisch zum Beispiel auf einem Bürodach gewinnbringend zu arbeiten? Hier gibt es noch zu wenig Daten – wir möchten daher die Technik soweit wie möglich vereinfachen, um mehr und mehr Installationen verwirklichen zu können und die Technik zugänglicher und alltagstauglich zu machen – und sie mit so vielen anderen Ressourcen wie möglich sinnvoll zu verknüpfen. Hier wird die Digitalisierung eine große Hilfe sein, dem Nutzer dies zu erleichtern.

Welche Stufen der Erprobung oder rechtlichen Einordnung müssen noch genommen werden, um eine breite Vermarktung für Nährstoffrecycling zur erreichen?

Bisher ist es noch nicht ohne weiteres möglich, auf Abfall- oder Abwasserbasis gewonnene Produkte wieder dem Nährstoffkreislauf zuzuführen, außer als Dünger. Eine regulierte Qualitätssicherung ist hier selbstverständlich nötig, aber auch eine Vereinfachung, Wertstoffe überhaupt definieren zu können – seien es Extrakte aus auf Abwasser gewachsenen Algen, die weiter genutzt werden sollen (zum Beispiel Lutein oder DHA/EPA), oder die direkt gewonnene Biomasse. Es müssen Beispielprozesse etabliert werden, um die Effizienz und Sicherheit zu zeigen, und um die Akzeptanz des Nutzers zu fördern; da die Investition für diesen Prozess recht hoch ist, gibt es leider noch keine vollständigen ‚realen‘ Produktionsprozesse auf Abfallstrombasis, außer in Forschungsprojekten, um darauf aufzubauen. Hier findet zurzeit bereits ein Wandel statt, der in den nächsten Jahren hoffentlich, in sicherem Rahmen, mehr ökonomisch nutzbare Optionen erlaubt - nicht nur für Mikroalgen, sondern auch für andere Abfallströme, sei es Biomüll, Kaffeesatz oder Prozesswasser aus anderen Produktionssträngen. Ein Beispiel hierfür wäre das All-Gas Projekt (Spanien), in dem mit Biogas aus auf Abwasser gewachsenen und damit ökonomisch günstigen Algen Fahrzeuge angetrieben werden. In Deutschland sind, auch aufgrund des Klimas, wegen der geringeren Produktionskapazität teurere Produkte als reine Biomasse für Biofuel/gas für ökonomische Lösungen nötig – oder die Einbindung in die Nutzung aller vorhandenen Ressourcen, das heißt eine möglichst vollständige Nutzung dieser. Daher wäre eine Förderung als Starthilfe sinnvoll, um auf verschiedenen Ebenen (Haushalt, Industriegebäude, Großanlage) die Verwirklichung dieser Ressourcenverknüpfung unter realen Bedingungen etablieren zu können; dies sollte auch die Kommunikation mit Menschen auf allen Ebenen, über Landwirt, Schüler, Forscher, Gebäudebesitzer, Kläranlagenbetreiber etc. beinhalten, denn es ist nicht auf ‚die Alge‘ reduzierbar, sondern auf ein Zusammenspiel aller verfügbaren Ressourcen an einem bestimmten Ort. Dazu kann zum Beispiel auch bei der Planung neuer Siedlungen ein anderes als das konventionelle Abwasser- und Energiesystem möglich und nötig sein, auch wenn die erwähnten Techniken für sich bereits auf bestehenden Strukturen anwendbar sind, das heißt es ist eine Berücksichtigung für nachhaltige Techniken in der Stadt- und Raumplanung nötig, die vielfach bereits stattfindet. Es ist dabei wichtig zu beachten, dass es nicht die ‚eine‘ Lösung für das Ressourcenproblem gibt, sondern dass je nach Ort und Voraussetzungen eine flexible, kombinierte Lösung die bestmöglichen Ergebnisse bringt. Das kann für eine kleine Einheit wie ein Mehrfamilienhaus eine intelligent gesteuerte Kombination aus Solar(Thermie, PV), Wassernutzung, Biomasseaufbereitung und Algenproduktion für Biomasse, sauberes Wasser und Raumklima durch CO2-Nutzung sein. Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Digitalisierung die selbstlernende Steuerung und Optimierung solcher Prozesse möglich macht – dies müssen wir ausnutzen, um endlich die wichtigen Schritte zur echten Kreislaufwirtschaft auf allen Ebenen zu machen. Es gibt bereits Möglichkeiten verbesserter Ressourcennutzung, auch für Privathaushalte, für die einzelnen Bereiche Energie und Wassernutzung, sogar für Biomasse; eine Verknüpfung und Optimierung dieser wäre mit Mikroalgen relativ einfach möglich, hin zu einer bioökonomisch funktionalen Kreislaufeinheit. 

Die wiedergewonnen und aufbereiteten Nährstoffe und Klarwasserströme können in einem geschlossenen Kreislaufsystem sowohl der Düngemittelherstellung, Bewässerung von Gemüsefeldern, aber auch für Futtermittel oder Nahrungsergänzungmittel verwendet werden. Wie aufwändig ist es, die Lieferkette nach der Aufbereitung mit Hilfe von Abnehmern zu schließen? Gibt es hier erste erfolgreiche Beispiele für Wertschöpfung in einer geschlossenen Kreislaufkette?

Obwohl es bereits viele postulierte Prozesse gibt, ist die tatsächliche Realisierung einer geschlossenen Kette rar (siehe Beispiel in der vorangegangenen Frage). Insbesondere in Deutschland mit relativ dynamischem Wetter – dies erschwert die Kontrolle und Vorhersage des licht- und temperaturabhängigen Algenwachstums – ist die Realisierung bisher auf Forschungsprojekte beschränkt, zum Beispiel im kleinen Rahmen mit dem Biofilmreaktor am FZ Jülich, oder mit Durchflusskulturen an der Technischen Hochschule Mittelhessen in Zusammenarbeit mit der Kläranlage Rotenburg; oder, als Beispiel für die Fassadennutzung, im BiQ Algenhaus in Hamburg. Allerdings ist der Kreislauf bis auf das Feld meines Wissens nach bei uns noch nicht dauerhaft geschlossen worden, auch, da immer noch die Frage nach der nötigen sinnvollen Größenordnung und dem damit verbundenen Invest- und Unterhaltsaufwand geklärt werden muss. Dies erwarten wir aber für die nächste Zukunft, auch um eine Orientierung für die reale Anwendung bieten zu können. Es gibt immer öfter Nachfragen von Interessenten, die zum Beispiel leerstehende Gewächshäuser oder eine Schwimmbadwasserreinigung sinnvoll nutzen wollen und offen für neue Anwendungen sind; auch dies stimmt uns positiv für die nächsten Schritte.