Dr. Daniel Kofahl, ist Soziologe mit einem Schwerpunkt auf Agrar- und Ernährungsthemen. Er leitet das Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur – APEK (www.apek-consult.de) und ist Dozent an den Universitäten Wien und Salzburg. Er ist Sprecher der AG Kulinarische Ethnologie in der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA).
F: Herr Kofahl, wir haben eben die Großdemonstration der Bauern in Berlin erlebt, als Höhepunkt der vielen regionalen Aktionswochen. Man hat den Eindruck, da hat sich lang angestauter Frust seine Bahn gebrochen. Denn die Bauern befinden sich bereits seit Jahren im Spannungsfeld gesellschaftlicher-moralischer Erwartungshaltungen. Landwirtschaft und Lebensmittel sind einerseits zum Ausdruck individueller Lebensentwürfe und politischer, oft schon ideologisch anmutender Überzeugung geworden. Da gibt es seit neustem Bürgerräte, die Lebensmittel-Empfehlungen abgeben, andererseits solidarisieren sich über 80 Prozent der Deutschen mit den Bauern -diese große Interesse am Agrarbereich, ist das eher Schaden oder auch Chance für die Bauern?
A: Ein großes Interesse an Landwirtschaft und Agrarthemen ist zunächst einmal erfreulich, weil Lebensmittelproduktion und Landschaftspflege durchaus Grundlagen unseres Lebens sind. Es signalisiert auch, dass diesen Tätigkeiten eine Wichtigkeit zugestanden wird, die es rechtfertigt, dass sie das kostbare Gut „Aufmerksamkeit“ erhalten.
Diese Zuwendung und Investition von Aufmerksamkeit auch von Vollblutstädtern oder landwirtschaftlichen Laien kann zur Verbindung von Land und Stadt beitragen, wenn zunächst einmal akzeptiert wird, dass es viel über Landwirtschaft und Agrarthemen zu lernen gibt. Man kann sich auch über niedrigschwellige Bildungsangebote wie gut recherchierte journalistische Artikel, seriöse Podcasts oder Public Science ein Bild davon machen, welche Fragestellungen und Entwicklungen die Landwirtschaft gerade umtreiben.
Problematisch wird das gesteigerte Interesse dort, wenn es darin mündet, dass Amateure die Komplexität der Lebensmittelproduktion, der Landwirtschaft, der Agrarökonomie, des bäuerlichen Milieus und so weiter aus dem Stehgreif auflösen wollen. Die Komplexität des Sachverhalts und all die daraus resultierenden Fragestellungen werden mit Alltagsweisheiten, Moralisierungen oder Hau-Ruck-Forderungen simplifiziert. Dabei wähnen sich Personen als Berater oder Experten, die objektiv betrachtet ihre Kenntnisse der Materie überschätzen. Einer Materie, die selbst für langjährige Praktiker oder lange dazu arbeitende akademische Wissenschaftler nicht einfach zu entscheiden sind.
F: Warum glaubt sich fast jeder Bundesbürger berufen, besser als jeder Landwirt zu wissen, wie Landwirtschaft funktioniert? Glauben wir, dass das uns alle zu Spezialisten macht, weil wir alle jeden Tag essen müssen? Oder ist die Antwort zu einfach?
A: Diese Frage lässt sich nicht einfach „logisch“ beantworten, weil das Phänomen selbst „nicht logisch“ ist. Es kommen hier wohl mehrere Faktoren zusammen, unter anderem eine Diskussionskultur, in der sich heutzutage nicht mehr nur jeder als Fußballbundestrainer wähnt, sondern zu allem und jedem meint, etwas diskursiv beisteuern zu müssen. Agrarthemen bieten sich hier aber auch deswegen an, weil das Bild, welches von der hochmodernen Landwirtschaft herrscht, dieser kaum gerecht wird. Es ist weniger so, dass – wie ja gelegentlich gesagt wird – Städter meinen, Kühe seien violett, weil sie das aus der Schokoladenwerbung so her kennen. Es ist aber so, dass keine Vorstellung darüber besteht, wie komplex Landwirtschaft ist. Bildlich gesprochen: Man nimmt an, es ginge darum, Samen aufs Feld auszustreuen, zu warten, dann wächst da etwas, das wird dann geerntet und muss nur noch im Hofladen oder im Supermarkt als Ware ausgelegt werden. Dass hinter all dem längst ausdifferenzierte Wissenschaften wie Land- und Pflanzenbau, Agrartechnik, Agrarökosystemanalyse und -modellierung, Agrarökonomie etc. mit jeweils großer intradisziplinärer Binnenkomplexität und schwierigen Entscheidungsfragen stehen, bleibt den Laien weiterhin verborgen oder ist ihnen einfach nicht bewusst.
Da Agrarthemen etwa in Bezug auf Themen wie ökologischen Umweltschutz, Tierhaltung oder Gentechnik dann auch noch medial besonders symbolisch aufgeladen werden, glaubt manch einer, der wenn es hoch kommt vielleicht Erfahrungen mit dem Anbau von Kresse auf der Fensterbank hat, er können komplizierte Entscheidungen jetzt mal eben so flott in ein paar Twitterkommentaren lösen wie Alexander den gordischen Knoten durchgehauen hat. Dafür ist der Agrarknoten aber de facto zu dick verwickelt und die Schwerter der vermeintlichen Problemlöser zu stumpf.
F: Spiegeln sich in diesen vielfältigen Erwartungshaltungen an die Landwirtschaft, die Unterschiede zwischen einer modernen urbanen Gesellschaft im Wertewandel und einer eher traditionellen Landbevölkerung wider?
Es ist richtig, dass sich aus agrarsoziologischer Perspektive im landwirtschaftlichen Milieu eher wertkonservative Kulturpositionen wiederfinden. Das hat etwas damit zu tun, dass dort in sehr viel größeren Zeitperioden gedacht, geplant und gerechnet werden muss, als das im Milieu urbaner Sozialtechnologen passiert, die inzwischen gewohnt sind in den Zeitspannen oft zeitlich befristeter Projekte zu denken. Man könnte sagen, dass „Zeitverständnis“ ist in beiden Bereichen unterschiedlich und das führt zu asynchronen Ansprüchen an Entwicklungsschritte.
Andererseits sind Stadt und Land heutzutage längst nicht völlig kulturell separiert. Das bäuerliche Milieu hat eine hohe Technologieaffinität, High-Tech ist aus der Landwirtschaft ja nicht wegzudenken, Lebensmittelproduktion und -handel sind in globale Prozesse eingebunden. Auch Werte wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Tierwohl und so weiter sind ja keineswegs umstritten. Es gibt hier weniger Zielkonflikte als darüber, mit welchen Mitteln und in welcher Zeit sie sich erreichen lassen. Und Landwirte und Agrarexperten haben auch öfter als Laien im Blick, welche neuen Probleme entstehen, wenn man die gegenwärtigen löst – gemäß dem Motte: löst man ein Problem, hat man drei neue.
F: Wie gelingt es uns, Lebensmittel und den Agrarbereich wieder zu entideologisieren und entmoralisieren, oder müssen wir damit leben, weil das auch typisch deutsch ist?
Eine gewisse Grundmoralisierung und Grundideologisierung kann man nie vermeiden, wenn man in einer kulturpluralistischen Gesellschaft lebt. Und unsere Gesellschaft ist von einem massiven Kulturpluralismus geprägt, der sie sowieso an allen Ecken und Enden vor große Herausforderungen stellt. Damit aber dennoch Konflikte entschärft, verhandelt und konstruktiv mit Problemen umgegangen werden kann, ist es geboten Sachaufklärung zu betreiben und für Komplexität zu sensibilisieren. Es wichtig zu vermitteln, dass es nicht nur um Wertkonflikte, sondern um Sachkonflikte geht. Es muss ein realistisches Bild von Lebensmittelproduktion und Landwirtschaft in der Breite der Bevölkerung entwickelt werden. Es muss aber auch innerhalb des bäuerlich-agrarischen Milieus das Selbstbild sowohl gepflegt als auch immer wieder aktualisiert werden, da gehört auch Selbstreflexion und Kulturarbeit dazu.
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