In 20 Jahren werden rund zwei Drittel der Weltbevölkerung in Metropolen leben und dort rund 80 Prozent unserer Nahrungsmittel konsumieren – und auch entsorgen: Die Ab- fallmenge in den Städten weltweit wird sich damit bis 2025 voraussichtlich von 1,3 auf 2,6 Milliarden Tonnen pro Jahr verdoppeln. Das stellt Politik, Stadtplaner und Landwirte/ Lebensmittelproduzenten vor zwei zentrale Herausforde- rungen: Erstens wird es nötig sein, um die wachsenden Metropolen mit frischen, nachhaltig produzierten und klima- freundlichen Produkten versorgen zu können, die Lebens- mittelproduktion in die Städte zu verlagern.
Zum zweiten: Der wachsende urbane Konsum von Lebens- mitteln produziert natürlich vermehrt Lebensmittelabfall in der Stadt selbst. Demnach wird die Transformation der gegenwärtigen Abfallwirtschaft in eine geschlossene Kreis- laufwirtschaft oberste Priorität haben.
Zerlegen, nicht zerstören
Wir haben in Deutschland einen Recyclinggrad von rund 65 Prozent erreicht. Damit sind wir Weltmeister in der Wieder- aufbereitung von Abfallstoffen. Doch das bezieht sich bislang hauptsächlich auf das Recyceln von Papier, Glas, Plastik, Elektroschrott oder Metall. Der Begriff des „Urban Mining“ steht stellvertretend dafür. Ein gänzlich anderes Bild ergibt sich jedoch in Bezug auf die Lebensmittelabfälle, obwohl sie mehr sind, als „nur“ ein wertlos gewordenes Konsum- gut, nämlich eine natürliche Ressource, die viele wertvolle Stoffe enthält. Daneben gibt es schon entlang der Lebens- mittelwertschöpfungskette viele Quellen für Rohstoffe, die weiterverarbeitet werden könnten. Bereits heute gibt es einige Ansätze dafür, diese Nebenstoffströme, wie Kaffeesatz, Treber oder Kartoffel- und Möhrenschalen aus der Industrie- produktion weiterzuverwenden, anstatt sie wie bisher üblich,
thermisch zu entsorgen. Kaffeesatz beispielsweise eignet sich hervorragend als Dünger oder Substrat, um, wie bereits in Rotterdam, Basel oder Wien angewendet, eine urbane Pilz- fabrik zu beliefern. Und auch gemischte Abfallstoffe, wie sie häufig in Restaurants- oder Cateringbetrieben anfallen, können erneut in den Kreislauf eingespeist werden. Zum Beispiel aufbereitet als Tierfutter oder als Rohstoff für die Industrie, zur Herstellung von Dünger oder für die Energie- erzeugung. Der Kreislauf der menschlichen Ernährung muss maximal geschlossen werden.
Die Stadt wird Teil der Landwirtschaft
Bereits heute sind Initiativen zu beobachten, die lokale Kreis- läufe schließen und in denen nahe bei oder in den Städten neue Anbauformen implementiert werden. Die Ideen hierzu sind vielfältig: Stadt-Fischer, Stadt-Bauern, Stadt-Käsereien, Aquaponic, Indoor-Farming oder Stammzellenzucht von Fleisch und Huhn erobern sukzessive den urbanen Raum. Was im All oder am Polarkreis bereits getestet ist, findet nun auch den Weg in die Metropolen. Treiber dieser Entwicklung ist eine junge, urbane Wissensgesellschaft, die eine nach- haltige biologisch-ökologische Produktion der Lebensmittel unter Berücksichtigung des Tierwohls gesellschaftspolitisch nicht nur einfordert, sondern auch umsetzt. Die Betreiber von Indoor-Farmen oder die Stadt-Fischer haben in der Regel keinen landwirtschaftlichen Background, sondern sind im klassischen Sinne Start-ups mit dem Ziel die SDG 2030 als Entrepreneure umzusetzen.
Boden versiegeln – städtische Anbauflächen schaffen
Ein starker Treiber ist auch der zunehmende Verlust an fruchtbaren Böden an der städtischen Peripherie durch das unaufhörliche Wachstum der Städte und den steigenden Bedarf an Wohnungen. Besonders die Megalopolen (vor allem in China) versuchen, über Roof-Top-Gardens oder In-
door-Farming diesen Verlust auszugleichen. Aufgrund dieser Entwicklungen drängt sich mehr denn je die Frage auf, wie geschlossene Kreisläufe einer urbanen Lebensmittelproduk- tion gestaltet werden können?
Hierzu ist ein neues, vernetztes Denken von Stadtverwal- tungen notwendig. Die kanadische Stadt Guelph etwa hat auf dem Münchner Global Food Summit 2019 ein weltweit einzigartiges Konzept städtischer Lebensmittelproduktion und -verwertung vorgestellt, dessen praktische Umsetzung von der Kanadischen Regierung mit 10 Millionen Dollar unterstützt wird. Auch Amsterdam und Dubai gehören hier zu den „First Mover“. So wollen die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Abhängigkeit von heute 90 Prozent Lebensmit- telimporten bis 2050 auf Null reduzieren.
Rohstoffe branchenübergreifend verwerten
Integrative Ansätze der Nahrungsmittelkreislaufwirtschaft können und sollten natürlich branchenübergreifend sein. Denn die Lebensmittelabfälle nur zu kompostieren oder thermisch zu verwerten wäre fast schon Ressourcenver- schwendung. Wie es anders geht, zeigt das Beispiel New York, wo es erste Bestrebungen gibt, Restaurantabfälle einer gezielten Wiederverwendung zuzuführen. Dort gibt es Anbieter, die organische Abfälle wie Zwiebelschalen und Avocadoschalen abholen und zu pflanzlichen Fasern verarbeiten. In Kanada nutzt man das Chitin von Hummer- panzern und Krabbenschalen. Chitin ist nach Cellulose das zweithäufigste Polymer der Natur und stellt eine ausge- zeichnete Ressource für biotechnologische Anwendungen dar; darüber hinaus kann daraus Energie gewonnen werden. Das sind natürlich noch kleine Lösungen, aber wichtige Schritte in die Richtung einer innovativen Kreislaufwirt- schaft, die langfristig und nachhaltig den Ressourcenbedarf moderner, urbaner Gesellschaften sichert. Beispiele für städtische Innovationsansätze zur Versorgung mit Lebens- mitteln stehen deshalb auch im Mittelpunkt des Global Food Summit in München am 25. und 26. März 2020. Neben wissenschaftlichen Rednern werden auch Unternehmen und internationale Start-ups ihre Ideen vorstellen. Unter dem Motto „Foodtropolis – Urban.Circular.Food“ will die Veranstaltung den Weg in eine klimafreundlichere Nah- rungsmittelproduktion und Landwirtschaft zeigen. Mehr dazu in der kommenden Ausgabe von forum Nachhaltig Wirtschaften.