Kommentar: „Was glauben Sie, welche Auswirkungen hat und hatte die Corona-Pandemie auf die Entwicklung und Kundenakzeptanz von Alternativen Proteinen und wie ist Ihre Haltung dazu?“

Ob Krisenerfahrungen die Menschen mutiger machen? Das wäre eine gewagte These, und wahrscheinlich auch eine unhistorische. Sie machen konservativ. Man sieht es an den Zustimmungsraten für Parteien. Die Leute lassen Parteien wie die AfD am Straßenrand liegen und wählen bürgerlich.

Ob das auch die Antwort sein wird, die bezogen auf den Wandel der Lebensstile zutrifft? Eine Renaissance des Jägerschnitzels ist vier Monate nach Krisenbeginn noch nicht dokumentiert. Wenn etwas zurückkam, ist es der Urlaub vor der Haustür, im Sauerland oder in der vorderen Oberpfalz. Auch das sind Gegend, wo man traditionell Schnitzel isst, und die vegetarische Küche arm ist.

Corona bringt bestimmt auch eine dauerhafte Krise der Kreuzfahrten, des besinnungslosen Umherschipperns um des Umherschipperns Willen. Auch eine Wiederentdeckung der eigenen Küche, des Zubereitens, der Koch-Apps, der Gemeinschaftsküche, der Schrebergärten. All das. Aber Alternative Proteine? Nein, ich sehe hier null direkte Krisenbezüge. Krisen schaffen eine kulturelle Rückbesinnung oder Zukunftsorientierung. Alternative Proteine, das ist ein Thema, das keinerlei Gefühl anspricht. Keinerlei Gefühl bedeutet, keinerlei Kulturbezug.

Aber indirekt gibt es einen Zusammenhang. Denn Fleischverzicht spricht vielerlei Gefühl an. Das mediale Schlaglicht auf die seit Jahrzehnten bekannten sklavenarbeitsartigen Beschäftigungsformen in Schlachtkombinaten wie Tönnies war enorm. Die Fleischbarone, die seit Jahrzehnten widerstandslos mit „Checks and Balances“ regieren, haben ein megadickes Fell. Die wissen, dass jedes Gewitterdonnern und jeder Mediensturm vorüber geht, und wenn nicht morgen, dann nächste Woche. Sie haben sich auf das kurze Krisengedächtnis des politischen Publikums eingestellt. Aber das kulturelle Krisengedächtnis, das sollte ihnen durchaus Angst machen.

Fleischlos ist ein emotionales Zukunftsversprechen. Ein politisches, auf eine fairere Welt. Ein konservatives, auf eine enkeltaugliche Landwirtschaft. Ein moralisches, auf eine allgemeinmenschliche Weiter-Kultivierung. Ein marktorientiertes, das neue Kaufkräfte einer progressiven Lebensstilgesellschaft bedient. Ein nerviges, wenn fleischlos zur Meta-Chiffre für allerhand egalitaristische Besserwisserei mutiert.

Fleischlos heißt aber nicht automatisch: im gleichen Maß des Fleischverzichtes Substitution durch alternative Proteine. In vielen Fällen heißt es einfach: mehr Omelette. Vielleicht heißt es, mehr proteinhaltiges Getreide. Oft wird es bedeuten, teurere durch weniger aufwendig „züchtbare“ Fleischproteine zu ersetzen. Umfragen zeigten, dass viele Verbraucher und Verbraucherinnen Hühnerfleisch gar nicht als Fleisch wahrnehmen. Der Megatrend Huhn wird durch Corona noch forciert werden. Aber ja, über den genannten Umweg, wird die Krise auch bedeuten: Wachsende Nachfrage nach „Clean Meat“, nach Proteinen aus Wasserstoff und Bakterien, aus Algen. In dem Maße, in dem sie marktreif und günstig sind.

Denn der Preisaspekt wird den Lebensstil-Aspekt wieder überholen, wenn es um die Kriterien für die Verbraucherwahl beim Einkauf geht. Jahrhundert-Wirtschaftskrise heißt zunächst, dass es dramatische Einbrüche der Kaufkraft gibt. Es trifft gerade die globalen Arbeitsmigranten, die Armen, die soeben finanziell in die Lage geraten waren, überhaupt einigermaßen regelmäßig Fleisch zu verzehren. In kurzer Frist und global betrachtet ist Fleischersatz immer noch primär ein ökonomisches Thema. Wenn Algenprotein günstiger sein wird als Maisbrei, wird die globale Stunde des Algenproteins schlagen. Derweil bleiben die ärmeren Milliarden bei den proteinreichen Insekten.

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