Kommentar: Die Akzeptanz von Alternativen Proteinen, von Verena Jungbluth Chefredakteurin | Leitung Veganismus beim Deutschen Tierschutzbund

Seit Monaten hält das Corona-Virus die Welt in Atem. Ohnmacht, Sorge und Trauer um Erkrankte und Verstorbene stehen Gestaltungswillen und Aktivismus gegenüber. Während die einen mit persönlichen Schicksalen zu kämpfen haben, möchten andere die Krise nutzen, um die Welt zu verändern – und stehen damit wiederum denjenigen gegenüber, die so schnell wie möglich zurück wollen zu „vor Corona“. Fakt ist, so wie wir heute leben, können wir es nicht weiter tun.

Alles, was wir tun, zeigt Wirkung. Keine noch so kleine Handlung im Alltag geschieht unbemerkt. Unsere Lebens- und Ernährungsweise hat direkte sowie indirekte Auswirkungen auf Tiere und Menschen weltweit, die Umwelt, das Klima, die globalen Ressourcen und die gesamte biologische Vielfalt. In der heutigen Produktion unserer Lebensmittel liegen die größten Tierschutzprobleme unserer Zeit. Vor allem die landwirtschaftliche Intensivtierhaltung findet seit Jahrzehnten unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit statt, und die Entfremdung von unserer Nahrung war noch nie so gravierend wie heute. Wir essen jeden Tag, und das mindestens dreimal. Alleine damit haben wir über 1.000 Mal im Jahr die Wahl, uns für oder gegen ein Produkt zu entscheiden. In der Marktwirtschaft, in der wir leben, gibt es nichts Stärkeres als die Konsumenten. Wenn wir Dinge nicht hinterfragen, uns nicht weiterentwickeln und nicht aktiv für Veränderungen einsetzen, stehen wir still – und rasen sehenden Auges auf den Abgrund zu. Denn die Corona-Pandemie ist nicht die einzige Krise, in der wir uns gerade befinden. Genau jetzt in diesem Moment leiden Millionen Tiere in einem System, das ihre Bedürfnisse kaum mehr missachten könnte, sterben unzählige Arten aus und ächzt unser Planet unter unserem Raubbau an der Natur. Es ist mehr als offensichtlich, dass unser aktueller Lebensstil auf dem unermesslichen Leid anderer Lebewesen basiert und wir inmitten der größten Biodiversitätskrise der Menschheitsgeschichte stecken. Verantwortlich dafür sind wir selbst – mit unserem blinden Konsum und unserem scheinbar niemals gesättigten Streben nach materiellem und wirtschaftlichem Wohlstand.

Ein großer Hoffnungsträger: pflanzliche Alternativen zu herkömmlichen tierischen Produkten wie Fleisch, Milch, Käse und Ei. Immer mehr Menschen öffnen sich für alternative Ernährungsweisen, jeden Tag schießen Start-ups aus dem Boden, die bereit sind, die Lebensmittelindustrie auf den Kopf zu stellen, und kaum ein großer Player der Wirtschaft investiert noch nicht in neue, zukunftsfähige Modelle. Ob der aktuell steigende Absatzmarkt und das immer größer werdende Interesse auch auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist? Schwer zu sagen. Auch täuschen die erfreulichen Zahlen nicht darüber hinweg, dass der Deutsche im Schnitt im Jahr nach wie vor fast 60 Kilogramm Fleisch verzehrt und eine Umstellung der Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion noch in weiter Ferne liegt. Aber: Neben den Verbrauchern ist auch die Politik in Bewegung. So hat die Bundesregierung mit der Zukunftskommission Landwirtschaft ein Gremium ins Leben gerufen, das bis Mitte nächsten Jahres skizzieren soll, wie die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland aussehen soll und welche Schritte Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einleiten müssen, um diese Zukunft zu erreichen. Erstmals sind neben den Vertretern von Landwirtschaft, Wissenschaft, Tierschutz- sowie Umweltverbänden und des Landwirtschaftsministeriums auch die Ministerien für Umwelt, Wirtschaft, Finanzen und das Bundeskanzleramt an der Kommission beteiligt. Diese außergewöhnlich breite Besetzung bietet die Chance auf einen Gesellschaftsvertrag, der nicht das bestehende System in die Zukunft überführt, sondern Alternativen erkennt und alle Beteiligten auf dem Weg in eine zukunftsfähige, ressourcenschonende und tierleidfreie Landwirtschaft mitnimmt. Es geht um nichts Geringeres als die Frage der Zukunft allen Lebens: das des Menschen, der Tiere, der gesamten Umwelt. Nur wenn es uns gelingt, die Exzesse und Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft, deren entsetzliche Folgen wir gerade erleben, zu beenden und umzukehren, hat dieser Planet eine Zukunft.

Bild: „Deutscher Tierschutzbund e.V.

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