Interview mit Marcus Pöllinger, Vorstand BayWa, 2022

Fragen an Herr. Marcus Pöllinger, Vorstand der BayWa AG

1. Klima, Krieg und Covid. Diese drei Themen bewegen die Welt und auch die weltweite Ernährungssicherheit. Wie beurteilen Sie die Lage und inwieweit ist die BayWa davon betroffen?

Klimawandel, Corona-Pandemie und vor allem der Krieg in der Ukraine haben uns schlagartig bewusst gemacht, wie fragil unser weltweites Ernährungssystem und damit die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln geworden ist. Wir sind 2022 schon mit einem weltweit knappen Getreidebestand gestartet. Als dann der Krieg in der Ukraine ausbrach und die Preise für Agrarrohstoffe in die Höhe schossen, war das vor allem für die Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern, die 60, 70 oder mehr Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, eine Katastrophe. Indien – immerhin zweitgrößter Weizenproduzent der Welt – wollte ursprünglich einspringen und Weizen liefern, hat dann aber die Exporte gestoppt, was auch mit der enormen Hitzewelle zu tun hat, unter der das Land derzeit leidet.

Um den Bedarf einer wachsenden Weltbevölkerung zu decken, bräuchten wir eigentlich jedes Jahr eine weltweite Rekordernte. Der Einfluss durch den Klimawandel ist in den vergangenen Jahren aber auch immer größer geworden. Damit hat das Risiko zugenommen, dass Ernten in einzelnen, auch wichtigen Anbauländern ausfallen.

Die Frage, wie wir unter all diesen Vorzeichen auch in Zukunft die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln sicherstellen, ist also ganz entscheidend – für unsere Kunden, die Landwirte, und uns. Innovation liegt, wenn man so will, in unserer DNA: In den 1920er war es die Mechanisierung in der Landwirtschaft, die wir maßgeblich mit vorangetrieben haben. Jetzt geht es um Lösungen für mehr Klimaresilienz, Ressourcen- und Umweltschutz und zusätzliche Absatzmöglichkeiten für Landwirte, neben den klassischen Agrarprodukten Weizen, Milch und Fleisch.

2. Welche Auswirkungen spürt die BayWa durch die Covid-Lockdowns in China, speziell in Shanghai?

Ganz grundsätzlich sieht man, wie wichtig der Mensch als wertstiftender Gestalter in unserer globalisierten Arbeitswelt ist – vieles, aber nicht alles geht „remote“. Ansonsten haben die Covid-Lockdowns in China und speziell in Shanghai keinen unmittelbaren Einfluss auf unser Agrargeschäft. Bei den Technikherstellern kommt es teilweise zu längeren Produktionszeiten bei Neumaschinen, wenn noch einzelne Teile für die Fertigstellung fehlen. Das führt im Moment zu Verzögerungen bei der Auslieferung neuer Technik und Gebrauchtmaschinen sind länger in Betrieb. Wir als BayWa haben aber ein großes Netz an Lieferanten und uns, beispielsweise bei Ersatzteilen für Traktoren und andere Landmaschinen, entsprechend gut bevorratet. Wir können unsere Werkstattkunden also ohne Einschränkung bedienen.

3. Sieht man die aktuellen Schwierigkeiten der globalen Logistikketten, werden regionale Produktionsmöglichkeiten immer interessanter. An welchen Innovationen arbeitet die BayWa gerade, um eine regionale Produktion zu sichern, und so eine größere Unabhängigkeit von den globalen Warenstoffströmen zu bekommen?

Es gibt viele Länder, die mehr Unabhängigkeit von Nahrungsmittelimporten anstreben, denken wir zum Beispiel an die VAE, die sich selbst zum Ziel gesetzt haben, bis 2051 die Nummer Eins auf dem Global Food Security Index zu werden. Dabei sind die natürlichen Bedingungen für Landwirtschaft in den VAE alles andere als optimal. Aber es geht, wenn die Nahrungsmittel unter kontrollierten Bedingungen in Klimagewächshäusern angebaut werden.

Grundsätzlich brauchen wir beides – sowohl die globalen Warenströme, die saisonale oder klimatisch bedingte Engpässe ausgleichen, als auch regionale, gegebenenfalls regional-ökologische Produktion. Aber auch ein bayerischer Landwirt, der mit regional erzeugten Produkten seine Nische gefunden hat, muss mit Extremwetter, steigenden gesellschaftlichen Erwartungen an die Landwirtschaft und politischen Regularien wie der Düngeverordnung umgehen. Und dafür haben wir als BayWa mittlerweile ein ganzes Tool-Set im Angebot – beginnend bei entsprechendem Saatgut über Smart Farming für den gezielten Einsatz von Betriebsmitteln und Wasser bis hin zu mehr Klimaresilienz durch Agri-Photovoltaik und die Doppelnutzung von Ackerflächen.

4. Wie sehen Sie die gestiegenen und steigenden Lebensmittelpreise. Ist das nur eine kurzfristige Steigerung, oder müssen wir uns längerfristig auf höhere Preise einstellen?

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern waren die Lebensmittelpreise in Deutschland in der Vergangenheit stets sehr moderat, bei sehr hoher Qualität. Das hat sich jetzt geändert: Die stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise treffen den Ernährungssektor besonders heftig, weil vom Landwirt bis zur Ladentheke die gesamte Verarbeitungskette betroffen ist. Eine Entspannung ist momentan nicht in Sicht. Darum wird das höhere Preisniveau vorerst bestehen bleiben.

5. Könnte man die Produktion von Getreide in Deutschland steigern, etwa durch Erweiterung von Anbauflächen? Sicher nicht von jetzt auf gleich, aber vielleicht mittelfristig?

Die Hälfte der Fläche in Deutschland wird landwirtschaftlich genutzt. Deutschland ist ein sehr dicht besiedeltes Land. Das bedeutet, wir haben es hier auch mit mehreren Ziel- und Flächenkonflikten zu tun. Wir wollen ja nicht nur mehr regionale oder sogar mehr Bio-Produktion. Wir wollen auch den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben und die Biodiversität fördern. Hinzu kommt, dass Versorgungssicherheit ein globales Thema ist und nicht losgelöst vom Rest der Welt betrachtet werden kann. Wenn wir hier in Europa beispielsweise eine extensivere Landwirtschaft favorisieren, bringt es dem Klima wenig, wenn sich die Produktion in andere Länder verlagert und dafür dort noch mehr Regenwaldflächen geopfert werden.

Wenn wir also für die weltweite Ernährungssicherheit etwas tun wollen, müssen wir out of the box denken – zum Beispiel, indem wir Ackerflächen zum Anbau von Nahrungsmitteln effizient nutzen und mit Solarzellen für die Energiegewinnung kombinieren. Oder, indem wir pflanzliche Proteine stärker als bisher in unsere Ernährung integrieren und auch jene Nahrungsmittelbestandteile für den menschlichen Genuss verwerten, die wir bisher wegwerfen. Obstkerne zum Beispiel.

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