Starkes Wachstum hat den Stadtstaat Singapur im Laufe der Jahrzehnte in Richtung Industrialisierung und Urbanisierung geführt und wenig Land für die Landwirtschaft gelassen. In diesem Jahr kündigte die Singapore Food Agency (SFA) das ehrgeizige Ziel an, bis zum Jahr 2030 rund 30 Prozent der in der Stadt benötigten Nahrungsmittel selbst zu produzieren.
Wir haben Lim Chuan Poh, den Vorsitzenden des Singapore Food Agency Board im Ministerium für Umwelt und Wasserwirtschaft, zur SFA und zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft befragt. Lim Chuan Poh ist auch Keynote-Speaker auf dem Global Food Summit 2020 in München.
Herr Lim, was tut die SFA, um ihre Pläne in Gang zu setzen? Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Faktoren, um ihre Ziele zu erreichen?
Singapur ist ein kleiner Stadtstaat mit sehr begrenzter Fläche. Bei mehr als 90 Prozent unserer Lebensmittel sind wir auf Importe angewiesen. Diese Situation steht im starken Gegensatz zu der in Deutschland, das in der Nahrungsmittelproduktion weitgehend autark ist. Da die Bevölkerungsdichte in Singapur fast 40mal so hoch ist wie in Deutschland, ist es nicht verwunderlich, dass wir über innovative und nachhaltige Formen des Anbaus von Lebensmitteln in unserer Stadt intensiv nachdenken müssen.
Der rasante Fortschritt in der Agrotechnik macht es uns nun möglich, eine nachhaltige und klimabeständige städtische Nahrungsmittelproduktion zu erkunden. So tragen mehrstöckige/mehrstufige Lebensmittelproduktionsstätten in Innenräumen dazu bei, die Flächenproduktivität zu maximieren. Der Anbau in Innenräumen hilft auch, extreme Witterungseinflüsse abzuwehren. Sollten sich diese Produktionsformen als geeignet für die Bedürfnisse Singapurs erweisen, werden sie zu gegebener Zeit auch unser Beitrag zur regionalen oder globalen Ernährungssicherheit sein.
Um diese Bemühungen zu beschleunigen, hat die Regierung 144 Millionen Singapur-Dollars (rund 95 Millionen Euro) für Forschungs- und Innovationstätigkeiten in diesem Sektor bereitgestellt. Das Forschungs- und Innovationsprogramm konzentriert sich auf drei Hauptthemen: Verbesserung nachhaltiger städtischer Techniken zur Lebensmittelproduktion, Förderung der biotechnologischen Proteinproduktion und Innovationen in der Lebensmittelsicherheit.
Wie wichtig ist die Circular Economy für die Erreichung Ihrer Ziele? Wie arbeitet die SFA mit anderen Behörden zusammen, um das Ernährungssystem der Stadt in eine Kreislaufwirtschaft umzuwandeln?
Die lineare Ökonomie (Nehmen, Fertigen, Nutzen und Wegwerfen) ist nicht mehr nachhaltig. Wir müssen uns mit dem Konzept der Kreislaufwirtschaft nicht nur im Lebensmittelsektor befassen, sondern auch mit Blick auf Wasser und Umwelt und viele andere Bereiche.
Daher müssen wir neben der Produktivität auch der ökologischen Nachhaltigkeit der Lebensmittelproduktion Vorrang einräumen. Dadurch wird sichergestellt, dass unsere lokale Nahrungsmittelversorgung auch gegenüber Ressourcenknappheit und Klimawandel widerstandsfähig bleiben kann. Technologie kann den Kreislauf der Lebensmittelproduktion straffen und die ökologische Nachhaltigkeit der Betriebe verbessern. Wir werden Lösungen suchen, um weniger landwirtschaftliche Betriebsmittel einsetzen zu müssen, Nebenprodukte und Abfallströme in den Kreislauf zurückzuführen und Umwandlungstechnologien (z.B. Lebensmittelabfälle zu Futtermitteln) effizienter zu machen. Technologie bietet zwei potenzielle Vorteile: Sie kann die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegen die Auswirkungen des Klimawandels machen und andererseits die Auswirkungen der Nahrungsmittelproduktion auf die Umwelt verringern.
Die SFA unterstützt die Landwirte zunächst bei ihren Bemühungen, innovative, nachhaltige Technologien und fortschrittliche Anbausysteme zu modernisieren und zu nutzen. So haben wir beispielsweise den Landwirten geholfen, Vorhangsysteme einzuführen, die die Pflanzen beschatten und die negativen Auswirkungen hoher Temperaturen auf das Pflanzenwachstum minimieren. Eine andere Möglichkeit sind abgeschlossene Zuchtbecken, welche Fischbestände vor Umweltveränderungen im Meer schützen. Wir haben jedoch gerade erst begonnen, das Potenzial der Kreislaufwirtschaft umzusetzen. Die SFA ist gut positioniert, um eng mit anderen Behörden zusammenzuarbeiten, die unter anderem für Raumplanung, Infrastruktur, Umwelt und Energie zuständig sind, um sicherzustellen, dass die Branche in die Kreislaufwirtschaft hineinwächst.
Werden Sie die Öffentlichkeit in die Verwirklichung des Ziels „30 bis 30“ einbeziehen? Wie können die Menschen dabei eine Rolle spielen?
Die breite Öffentlichkeit wird eine wichtige Rolle bei der Erreichung des Ziels spielen. Ihre Nachfrage ist wichtig, um ein lebendiges Ökosystem für landwirtschaftliche Lebensmittel zu erhalten. Der Kauf lokaler Produkte wird das Geschäft unserer Landwirte ankurbeln, was sie wiederum anspornt, neue Technologien zu nutzen und produktiver zu werden, um die gestiegene Nachfrage zu decken. Dies wird zugleich unsere Ernährungssicherheit erhöhen. Zunehmend wollen Gemeinden Teil der Lösung sein, um sich selbst zu ernähren. Daher ist ein entscheidender Teil unserer Strategie, bei ihnen ein Bewusstsein für die lokale Lebensmittelproduktion zu schaffen.
Um das Bewusstsein der Singapurer zu schärfen, haben wir zwei Pilotprojekte angestoßen, um die Machbarkeit kommerzieller städtischer Landwirtschaftsbetriebe im Kerngebiet des Stadtstaates zu bewerten. Neben der Erschließung alternativer oder ungenutzter Flächen innerhalb des Kerngebiets für die Nahrungsmittelproduktion dienen diese Projekte auch der Sensibilisierung der Bevölkerung und der Unterstützung lokaler Produkte. Wir hoffen, dass eine Produktion nahe an der Bevölkerung mehr Begeisterung für die städtische und nachhaltige Lebensmittelproduktion schafft und gleichzeitig zur Bindung innerhalb der Gemeinschaft beiträgt.
Wir müssen die Öffentlichkeit, insbesondere die jungen Menschen, auch auf die Karrieremöglichkeiten im wachsenden Agrar- und Ernährungssektor einstimmen. Die Initiativen zur städtischen Landwirtschaft tragen nicht nur dazu bei, dass die Öffentlichkeit den Ablauf vom „Bauernhof bis auf den Tisch“ besser einschätzen kann. Sie erhöhen auch die Sichtbarkeit des Agrarsektors und schaffen einen Anreiz für die nächste Generation, sich stärker an unserer Lebensmittelproduktion zu beteiligen und mehr Verantwortung für unsere Ernährungssicherheit zu übernehmen. Wir haben die Zusammenarbeit mit unseren Schulen und Ausbildungseinrichtungen aufgenommen, um Lehrpläne für die Bereiche Landwirtschaft/Anlagentechnik, Landwirtschaft/Aquakultur, städtische Landwirtschaft und Forschung im Bereich der nachhaltigen Lebensmittelproduktion zu entwickeln. Die Millennial-Generation wird diese Möglichkeiten angesichts ihrer Besorgnisse um Nachhaltigkeit und Klimawandel sicherlich besonders sinnvoll finden.